8: Max Prosa und „Erinnerungen“

Was Carmen denkt:

Sonntag Abend im Theater am Prenzlberg. Die Weißweinschorle darf nicht mit hinein. Vielleicht gut so. Ich zupfe unruhig an meinem Mantel, und aus der Manteltasche fällt die Rechnung einer Wiener Apotheke. Ach Wien – Du fehlst mir. Ich hab’ Heimweh’. Familie und Freunde fehlen mir. Dabei krieg’ ich’s doch eh nicht hin, mit all’ den Leuten in Kontakt zu bleiben, die ich im Laufe meines Lebens in’s Herz geschlossen habe. Das enttäuscht Andere, und das enttäuscht mich. Die Leute hier im Saal schwelgen in erwartungsvoller Stille, die Stühle scheinen mich anzuflüstern, als seien sie all’ diese Menschen, bei denen ich mich bereits viel zu lange nicht mehr gemeldet habe.

Max Prosa kommt auf die Bühne – mit Gitarre und streiche(l)nder Begleitung. Einmal wieder ist er so echt und wahr, wie man nur sein kann. Ob er das wohl kennt? Das Überfordertsein? Die Reizüberflutung, wenn einmal wieder so viele, so liebevoll geschriebene, Nachrichten auf Computer und Handy aufleuchten? Den Druck, jeder Nachricht gerecht zu werden? Die kleinen Stiche in’s Herz, wenn sich einmal wieder ein Freund oder eine Freundin traurig über das lange Nicht-Wiedersehen äußert?! Irgendwie kommen mir ja schon die Tränen, als Max nur das Intro zu „Erinnerungen“ spielt. Aber als er dann von all’ den Menschen zu singen beginnt, die einmal für ihn da waren – und die er mittlerweile nicht mehr so oft sieht – da trifft es mich mitten in’s Herz. „Sie war’n alle einmal da für mich. Bis wir uns nicht mehr so oft sahen“ singt er, und ich frage mich, was wohl in seinem Kopf herumschwirrte, kurz bevor die Gedanken zu Poesie wurden?

„Und unten an der Spree saß oft ein Fischer. An manchen Tagen setzte ich mich zu ihm. Ich dachte erst, es wär’ ein blöder Zufall, dass er in dieser Zeit nie etwas fing. Und als ich ihn dann einmal danach fragte gestand er mir: da ist kein Köder dran. Ich sitze hier nur gerne in der Sonne. So schauen mich die Leute nicht blöd an .“ Ich sehe mich selbst an der Spree sitzen, als Max von dem einsamen Fischer singt. Wobei – Einsam? – War er das? Oder genoss er einfach die gemeinsame Stille?! Ich brauche die Zeit, in der ich Löcher in’s Wasser oder in die Wand starren kann. Nur so scheinen sich die vielen Gedanken in meinem Kopf zu sortieren. Und nur so kann ich abschalten, ausspannen. Und das, obwohl ich oft so gerne unter Menschen bin und Menschen so gerne mag – so blöd das vielleicht auch klingt. Die Menschen, mit denen ich jedoch gemeinsam und ohne innere Anspannung schweigen kann, kann ich an einer Hand abzählen. Woran das genau liegt, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass meine erst so offene Art und der spätere Rückzug sehr widersprüchlich und seltsam wirken können. Es mag dann auch so scheinen, als ob ich den Menschen nicht wahrhaftig begegne, tatsächlich tue ich das jedoch, zumindest empfinde ich es so. Ich weiß aber manchmal einfach nicht – rein praktisch gesehen – wie man es schafft, Freundschaften neben Job und Alltag regelmäßig und liebevoll zu pflegen, so dass alle Beteiligten glücklich und zufrieden sind. So, dass Freundschaften sich nicht wie Aufgaben sondern wie die Liebe anfühlen, die sie sind. Wie kann es sein, dass mir das Probleme bereitet?! Puh.

Nun ja – In jedem Fall berührt und inspiriert mich Dein zauberhafter Text sehr, lieber Max – und ich bin Dir sehr dankbar dafür, dass Du Deine Gedanken-Poesie mit der Welt teilst – Ich glaube, sie fängt nicht nur mich regelmäßig – auf weichste Art und Weise – auf.

Was Max denkt:

Liebe Carmen – Dieses Lied “Erinnerungen” wollte ich eigentlich nie veröffentlichen. Ich habe es geschrieben, um es meiner Familie an Weihnachten vorzuspielen. Wenn sie alle darin vorkommen, dachte ich, dann verstehen sie vielleicht noch besser was ich eigentlich mache. Es waren damals noch mehr Strophen und auch größtenteils andere als jetzt. Manchmal singe ich die eine oder andere aus dieser Zeit auch noch live, sie flechten sich unterbewusst mit ein: an wen habe ich lange nicht gedacht? Der muss mal wieder genannt werden. Dieser Fundus ist noch am wachsen: als mein Opa im letzten Jahr gestorben ist, kam noch die Strophe mit ihm dazu, ich habe sie dann auf seiner Beerdigung das erste Mal gesungen. Dann noch eine für einen Freund, auf seiner Hochzeit. Denn sie waren alle einmal da für mich, bis wir uns nicht mehr so oft, oder auch gar nicht mehr sahen.

Aber eigentlich geht es gar nicht unbedingt um den Tod, sondern um die Beziehungen, die so intensiv sind und die sich dann ohne speziellen Grund verlieren. Das war dann der eigentlich treibende Gedanke, durch den das Lied zu seiner jetzigen Form gefunden hat. Der C-Teil kam später dazu und regelmäßig kommt es mir beim singen vor wie eine kleine Beschwörung, wenn ich singe dass ich hoffe, dass die Personen auch manchmal an mich denken, wo auch immer sie sind. Ob im Himmel oder noch immer in der Wohnung, in der ich sie zuletzt besucht habe.

Manchmal hilft es mir dann zu denken, dass das “Jetzt” auch nur einer von sehr vielen Sichtweisen ist, die am Ende des Lebens alle nebeneinander stehen werden. Wir gehen immer davon aus dass wir klüger werden, unsere Beziehungen intensiver, wir zu einem Kern vordringen. Das “Jetzt” scheint immer die weiseste Version von uns zu sein. Aber ist das wirklich so? In Wirklichkeit verlieren wir glaube ich die meiste Zeit genau so viel, wie wir gewinnen. Nur dass wir vielleicht nicht so gerne danach schauen. Nach einer Zeit kann uns das auf die Füße fallen. Diese Stelle in dem Lied hilft mir, mich daran zu erinnern.

Das Lied ist im stetigen Wandel und mittlerweile nichtmal bei meiner Person geblieben. Irgendwann bekam ich einen Anruf vom Berliner Senat, ob ich ein Lied mit einem Geflüchteten schreiben kann. Sinan stand dann da in meiner Küche und erzählte von seiner Reise hierher und den Leuten die er getroffen hat und die ihm was bedeutet haben. Am selben Nachmittag hatte ich eine neue Version des Liedes, die “Die Erinnerungen des Sinan M.”  Wer weiß wessen Erinnerungen ich noch zu einem Lied machen kann, diesem Spiel sind keine Grenzen gesetzt.

Als ich das Lied kurz vor Weihnachten einem Freund vorspielte, antwortete dieser bewegt und als erstes: “das ist ja ein Lied über meine Familie!” Da wusste ich, dass ich es auf die Bühne bringen muss. Denn das ist, was ich an meinem Beruf am meisten liebe: aufzeigen können wie sehr wir einander ähneln. Eine Erkenntnis, die Frieden schafft.

 

Hier kommt Ihr zu Max Prosas Lied „Erinnerungen“ auf YouTube

Zum dazugehörigen Text kommt Ihr wenn Ihr hier klickt

Max‘ nächste Konzerttermine, mehr Musik und noch viel mehr Text findet Ihr auf folgenden Seiten:

www.maxprosa.de

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Max Prosas neuer Blog

 

6 Kommentare zu „8: Max Prosa und „Erinnerungen“

  1. Ich musste gerade an dieses Schild denken: „Wir müssen leider draußen bleiben“ Und daran, dass es immer wieder Türen gibt, durch die man alleine geht. Da muss die Weinschorle außen vor bleiben, der Hund oder der beste Freund oder die Oma. Wir begleiten uns eine Weile lang, sind und geben uns alles und dann ziehen wir weiter. Aber wir sollten nicht traurig sein, denn alle unsere „Helden“ – um das mit Max Prosa zu sagen – haben ein Zuhause in unseren Erinnerungen. Und manchmal passiert es ja doch. Völlig unvermittelt wie neulich: Die E-Mail meines Soulmate, der sechs Jahre unsichtbar war – ein Lebenszeichen in drei Zeilen und ein Lied – ich bin durch die Wohnung getanzt.

    1. Liebe Frau Punkte – ich danke Dir sehr für Deine liebevollen Gedanken,.. ich sehe bzw. fühle das ähnlich,.. bestimmte Menschen bleiben für immer mit dabei – auch wenn man sich irgendwann nicht mehr „real“ begegnet. Als ich das das erste Mal vor ein paar Jahren für mich gefühlt habe, war es wie eine große Erleichterung – nicht, dass man manche Menschen nicht trotzdem vermisst, aber dieses Durchdringende verwandelt sich irgendwie mehr in Liebe als in Verbissenheit,… oder so,… wenn das irgendwie Sinn macht, was ich hier schreibe. Umso mehr darf man sich freuen, wenn der Moment da ist – und eine Begegnung ganz wahrhaftig auch wieder „real“ stattfindet. Ich freue mich sehr darüber, dass Du von einem lieben Menschen zum Tanzen gebracht wurdest, liebe Frau Punkte – schön,…! 🙂 Liebe in die Welt – sag‘ ich da nur 😀 Liebste Grüße, Carmen

  2. Liebe Carmen,
    Interessanter Gedanke mit der weisesten Version von uns und dem Jetzt! Gerade im Hinblick auf Kreativität staune ich, wie viel ich davon als Kind verstand. Und ich mag deine Worte, die mich wie eine sanfte Melodie über Wesentliches in dieser Welt nachdenken lassen! LG, Elisabeth

    1. Liebe Elisabeth, ich danke Dir für Deine schönen Worte! Mir ging es ähnlich- so manches habe auch ich als Kind / Jugendliche viel eher und purer gespürt wie heute. Andererseits habe ich viel schneller angenommen „falsch“ zu liegen als heute -ich brauchte immer die externe Bestätigung „auf dem richtigen Weg zu sein“. – Heute, bin ich etwas besser darin, mit Vertrauen auf mich selbst zu hören. Aber : it’s a long path – still 🙂 Ich danke Dir für Deinen anregenden Kommentar, meine Liebe!!

  3. Liebe Carmen, ich bleibe bei deinem Kassenzettel hängen und denke mir, es ist doch gut, dass das Leben so eingerichtet ist. (Achtung! Weisheit!) Wenn wir all das, was wir erhoffen und uns vornehmen, auch erreichen könnten, bliebe keine Sehnsucht. Sehnsucht ist manchmal konkret und mit großem Schmerz verbunden, aber auch oft unbestimmt und nur mit leichter Trauer geschmückt. Ein starkes Gefühl, lebendig. Ich möchte es nicht missen. Davon erzählt mir dein Beitrag, danke! Deine Comediante23

    1. Liebste Comediante23 – Vielen herzlichen Dank für Deine inspirierenden Gedanken und Sätze – sie geben mir, vor allem gerade eben, ein sehr gutes Gefühl. Ich erinnere mich jetzt, nach dem Lesen Deines Beitrags, an eine buddhistische Weisheit, die ich irgendwann einmal aufgeschnappt habe – ich finde sie aber nicht mehr im Internet – irgendwie so: Lebe mit Zielen, die unerreichbar scheinen und es vielleicht auch bleiben. Ich danke Dir!!! Ganz liebe Grüße, Carmen 🙂

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