Was Carmen denkt:
Ich mag Menschen mit Schattenseiten. Oder vielleicht genauer gesagt: Menschen mit Augen, in denen ich Schatten zu erkennen glaube. Stimmen, die selbst ohne Worte von den Kratzern des Lebens singen können. Nackte Füße, die nicht verbergen wollen, dass sie schon mehr als einmal an der Schwelle zwischen dem eigenen „falsch“ und „richtig“, „gut“ und „böse“ getanzt haben. Hände, die andere Hände auf diese, ganz eigene, Art und Weise drücken können, nachdem sich die dazugehörigen Menschen gegenseitig von den eigenen Dämonen erzählt haben. Verschrammte Seelen, in die man bereits hunderte Male geblickt hat – und die man trotzdem jedes Mal anders zu erkennen glaubt. Menschen mit tiefen, dunklen Ecken in ihren Gedankenwelten. Menschen, die Lieder schreiben wie : „Schatten“.
Als ich Faustmanns „Schatten“ vor ein paar Tagen zum ersten Mal gehört habe, da war es, als ob ich Faustmann bereits seit langer Zeit persönlich kennen würde – Denn ich folgte den schleichenden Betongesichtern des Textanfangs sofort voller Vertrauen durch die Nachbarschaft und setzte mich gedanklich ans Fenster meiner alten Wohnung in Wien, als ich ihn vom „toten Morgengrauen“ singen hörte.
„Und es scheint weit hergeholt zu sein, mich verfolgt meine Vergangenheit. Weil da wartet wieder mein vertrauter Feind – es ist mein Schatten und mein Schatten holt mich ein.“ Ob es alte Lieben sind, die uns nie wirklich losgelassen haben – oder unschöne Bilder aus der eigenen Kindheit, die uns bis heute verfolgen – manches scheint in uns bleiben und uns überall hin zu begleiten zu wollen. Das kann Angst machen, frustrierend sein – uns aber auch jede Menge lehren. Denn unsere Schatten verraten ganz schön viel über uns. Und Schatten ist ja auch nicht gleich Schatten.
Was Faustmanns Schatten wohl für ein Typ ist? Woher er kommt? Ob er für Faustmann ein sympathischer Kerl mit Macken ist? Oder ein beängstigender Fremder? Ob er versucht hat vor ihm zu fliehen? Oder ob Faustmann regelmäßig mit ihm und ein paar FreundInnen auf ein Bier geht? Ob sein Schatten dem Meinigen ähnelt?
„Das stille Wasser trübt sich – und diese Tiefe lügt nicht“ – Wie ich diese Zeile aus „Schatten“ liebe. Ich bewundere Menschen, die ihre Schatten mit ins Licht nehmen, die sich und ihre dunklen Ecken zeigen und sich damit verwundbar machen. Und es, nun ja, fasziniert mich tatsächlich auch, wenn ich, scheinbar durch die tiefen Blicke eines Menschen hindurch, direkt in die dunklen Ecken seiner Seele blicken kann. Ja, das könnte etwas seltsam klingen – aber ich finde es wohl eben einfach schön, die vollkommene Unvollkommenheit einer Person sehen zu können. Vielleicht auch, weil ich mich dann nicht mehr so alleine mit meinen eigenen Schwächen, Ängsten und Fehlern fühle. Vielleicht aber auch, weil Menschen, die immer wieder mit ihren Schatten kämpfen, auch oft Menschen sind, die viel über sich und die Welt nachdenken, die empfindsam sind – sorgsam und reflektiert.
„Und so zeigt sich mein verfremdeter Freund – ja das bin ich – wenn ich aus meinem Schatten steig’“ – Ob aus dem vertrauten Feind Faustmanns gegen Ende des Liedtexts deshalb ein verfremdeter Freund geworden ist, weil Faustmann nun weniger gegen den eigenen Schatten kämpft, als ihn als Teil seiner selbst zu begrüßen? Ich bin gespannt, was uns Faustmann über seine, ganz persönliche Geschichte zu diesem Lied erzählen wird.
Lieber Faustmann – auf jeden Fall berührt er mich sehr, Dein „Schatten“.
Was Faustmann denkt:
Carmen. Wer das wohl sein mag? Wie die wohl aussieht? Wie wohl ihre Stimme klingt? Schön, dass sie sich mit meinem Werk beschäftigt. Sie hört und sieht sich mich an und sie fühlt sich in mich und in sich selbst rein und macht sich Gedanken und schreibt mir. Das ist Anerkennung. Meine Lieder sind an sich schon verständlich. Einfach, zugänglich, unkompliziert. „Schatten“ entstand in einer Phase, in der ich mich täglich selbst gesucht habe. Worüber kann und will ich schreiben und singen? Was will ich mit meinem Auftritt vertreten? Was ist mir überhaupt wichtig und was macht mich aus? Tag für Tag kam ich meinem Stil näher, den ich heute reif finde. Genau 30 Jahre reif – nachdenklich, zärtlich, akzeptierend.
Wenn ich das Lied singe, finde ich mich oft in einer Szene in der Dämmerung am Hausdach von Jasmin wieder. Die Phrasen der Strophen ‚durch die Nachbarschaft‘, ‚aus der Nacht‘, ‚um das Dach‘, ‚hinunter gehts mit mir den Bach‘ spielen alle dort oben in meinem kleinen düsteren Theaterstück. Dort oben sitzen die Raben und ich sitze daneben. Ich habe mich damals wohl absichtlich in diese Schattenwelt begeben, weil ich irgendwie gespürt haben muss, dass da etwas auf mich wartet. Dieser Schatten ist mittlerweile schon ein guter Freund von mir geworden, muss ich sagen – mit dem ich auch so meine Probleme habe – natürlich. Aber als Krebs muss ich Konflikten ausweichen. Ich akzeptiere sie lieber.
‚Verwegener Gegner‘ würde mein Vater sagen. Damit meint er aber ‚Vertrauter Feind‘ – das ist ein Film über den Nordirlandkonflikt. Mit meiner Schwester und ihm haben wir über diese Verwechslung gelacht. Den Film hab ich inzwischen fast vergessen aber der Titel blieb mir irgendwie in Erinnerung und so hat er seinen Weg in meine Texte gefunden. Der Film – das habe ich gerade gegoogelt – ist von 1997 mit Brad Pitt und Harrison Ford und Natascha McElhone. Diese Schauspielerin finde ich übrigens bezaubernd – ihr Blick ist dramatisch und glaubwürdig – man kennt sie auch von der Truman Show. Aber nicht relevant für jetzt. Zurück zu „Schatten“.
Mein Schatten ist scheu. Er vertraut nur mir allein und versteckt sich gern vor dem Rest der Welt. Er ist die Vergangenheit (die gute und die böse) und er ist das Düstere, der Zweifel, der Beobachter, der Ruf, der Entfernte. Mein Schatten ist mühsam. [Vielleicht siehst Du die eine oder andere Regung im Musikvideo, oder hörst es vielleicht aus dem Lied heraus? Lass es mich wissen.]
Und irgendwann ist mir mein Schatten als Lied auf dem Mund gepurzelt. Ich kann mich noch erinnern, wie ich da am Klavier gesessen bin in der Belvedergasse in Wien. Das war 2015/2016. Mein Gott – was da schon an Zeit in das Lied geflossen ist – wie viele Versionen und Varianten. Ein guter Einfluss war Sam Smith – warmer Klang, souliger Sound. Knackig, satt, klar. Einfach, unaufdringlich, gemütlich.
Am Anfang hatte ich noch dieses gewollte Pseudohochdeutsche in meiner Stimme. Und dann hab ich mir gedacht – warum nicht einfach so wie ich normal jeden Tag rede? Es ist doch auch sauber und verständlich. Damals war ich einfach auf der Suche nach meiner Originalität. Wienerdeutsch nenne ich das. Und wer das nicht versteht, kann kein Deutsch, denke ich mir. Es ist keine Mundart oder Bayrisch oder ein Dialekt. Es ist genau so sauber wie jemand der in Hamburg oder Berlin klares Deutsch spricht, mit einem schönen Akzent, mit einer Farbe, mit einer Nuance der Stadt in der ich halt so viel Zeit verbracht hab. Eine Schattierung vielleicht, um wieder zum Thema zu kommen. Über Schatten spricht das Lied am stärksten selbst – hör es Dir nochmal an.
„Schatten“ wurde am 25.1.2019 als Lied und Musikvideo (auf YouTube) veröffentlicht. Mitarbeiter sind und waren: Max Perner machte die Produktion, Alex Kerbl spielte Schlagzeug, Walter Hof spielte Bass, Julian Schneeberger spielte Gitarre, Emiliano Hinojosa machte die Kamera, Max Werdenigg machte das Licht, Linda Paula Keider machte die Dramaturgie, Alice Reichmann und Samira Schirpf haben Chöre gesungen, mit Daniel Stratznig habe ich ein Akkordeon aufgenommen, das wir schlussendlich leider nicht verwendet haben, von Saskia Klar kam der Bus im Musikvideo, mein Vater und Lukas Pitscheider halfen bei der Autofahrtszene. Die tanzenden und trinkenden Menschen in der Bar im Hintergrund und alle anderen, die ich jetzt namentlich nicht erwähne, wissen um ihren Beitrag.
Ich bin dankbar, dass ich dieses Werk mit diesen Menschen schaffen durfte. [Und ich bin dankbar, dass Du diesen Text gelesen hast und freue mich, wenn Du mir schreibst.]
„Schatten“ von Faustmann als Musikvideo (inklusive Text)
Hier geht’s zu Faustmanns „Schatten“ auf YouTube.
(Klickt auf „mehr ansehen“ unterhalb des Videos, um den ganzen Liedtext lesen zu können. 🙂
Mehr über und von Faustmann findet Ihr auf: