7: Enno Bunger und „Ein bisschen mehr Herz“

Was Carmen denkt:

Es ist 08:00 morgens und ich stehe in der Berliner Ringbahn. Es ist voll hier – okay – sehr voll. Und eng – ja – sehr eng. Ehrlich gesagt bin ich gerade noch irgendwie so in den Wagen hineingekommen. Bis vor ein paar Jahren hätte ich diese Bahn wohl wahrscheinlich ausgelassen und auf die nächste, etwas leerere, Nachfolgerin gewartet, aber mittlerweile ist mir klar – wenn ich morgens pünktlich auf der Arbeit erscheinen will, dann muss ich da irgendwie mit. Ich lächle und entschuldige mich also durch, bis ich es ins Innere des Wagens geschafft habe. Ein Mann in quietschgelber Jacke begrüßt mich mit „Det musste ja jetzt noch sein, wa?“ – Dann geht das große Geseufze und Gestöhne von allen Seiten los. „Ey!“ „Boah“ „Mann ey,..!“

„Wenn man mal so betrachtet, sich die Menschen ansieht, wie sie sich selbst verachten, was für Mienen sie ziehen – Wovon sind sie so müde? Was nimmt sie so aus?“ – Bin ich froh, dass gerade dieses, Enno Bungers, Lied durch meinen Kopfhörer in meinem linken Ohr landet.  Eine Frau rammt mir ihren Ellbogen in den Bauch. „I need space!“ ruft sie. „I’m sorry!“ sage ich und versuche , noch intensiver, Teil der Wagentür zu werden. „Tuuuttuuuuuut“ ruft da eine Kinderstimme laut. Ich muss grinsen. Wenigstens Eine, die hier nicht in Weltuntergangsstimmung ist.  Ich sehe mich um, und entdecke das kleine Mädchen zur Stimme. Es steht mit ihren Eltern, ein paar Menschenecken von mir entfernt, und tutet fröhlich vor sich hin. Die Sonne scheint durch das Ringbahnfenster. Das Leben ist schön.  „Das Leben ist ein Geschenk, komm‘ pack‘ es ein und aus. Warum probierst du nicht täglich was völlig Neues aus?“ „Ey Schnauze! Blödes Gör!“ schreit da plötzlich die Frau neben mir, in der blauen Jacke. Ich sehe sie verdutzt an. „Na stimmt doch – da kommen die einfach, klaue’ unsere Arbeitsplätze, wolle‘ unsere Sprache nicht lernen und lasse‘ den Kindern einfach ma allet durchgeh’n. Görenkinder sin‘ det, sach’ ich Ihnen, schlimm, janz schlimm.“ – herrscht sie mich spuckend an. Ich bin perplex.

„Tuuttuuut“ singt das kleine Mädchen beschwingt weiter, bevor ich überhaupt etwas sagen kann. Und ich freue mich über ihr Weiter-Getute. Ihre Eltern lächeln mich mit schuldbewusstem Blick an. „Ach, ist doch schön, dass es hier gute Laune im Wagen gibt!“ rufe ich ihnen zu und hebe meine beiden Daumen. Sie strahlen mich an. Dann wende ich mich der Frau in der blauen Jacke zu. „Lassen Sie das Mädchen doch ihre Freude haben. Ist doch schön!“ sage ich. „Ne, ne, ne – so unverschämt die Kinder von heute. Und die Ausländerkinder – det sind die Schlimmsten!“ – sagt sie und dreht sich von mir weg, erntet einen bestätigenden Blick von einem älteren Herrn im Sakko. Die Mutter des Mädchens sieht betreten auf den Boden. Mir platzt der Kragen.

„Wo sind die guten Gedanken? Die Hoffnung auf mehr?“ singt mir Enno Bunger da in’s Ohr und ich bekomme den Mut, den ich brauche. „Sagen Sie einmal, was soll denn das? Darf man hier keine gute Laune mehr haben, oder was? Und was hat denn das alles bitte mit der Nationalität des Kindes zu tun, von der sie übrigens, so wenig Ahnung wie ich haben, soweit ich weiß?“ Ein junger Mann stimmt mir zu. „Also, ich bin auch für Tut-Tut und gute Laune!“ sagt er schmunzelnd,  „Ich auch“ hallt da noch eine andere Stimme aus unmittelbarer Nähe. Ich muss grinsen. Die Eltern des Mädchens ebenso. Frau und Herrn Miesepeter hat es die Sprache verschlagen. Bei der nächsten Station drängen sie sich empört blickend nach draußen. Alle beide.

„Alles, was wir bräuchten – nur ein bisschen mehr Herz.“ singe ich innerlich Enno Bungers Zeilen zu „Ein bisschen mehr Herz“ mit. Lieber Enno, wie Recht Du doch hast. „Hör nicht auf zu tanzen, halt‘ den Himmel nicht auf!“ – Ich danke Dir. – Du machst Mut – und stehst in Deinen Liedern für Menschen und ihre Vielfalt ein – und zeigst damit ganz viel Herz. So kitschig das vielleicht auch klingen mag – Aber – Genau das braucht es (wieder) mehr denn je in der Welt.

Bleibt dran, denn ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass ein neues Album baldigst am Start sein soll – und außerdem steht die nächste Tour bereits an! Also – Tickets sichern – glaubt mir – jedes Konzert von Enno Bunger ist ein Seelenschmaus ! 🙂

Was Enno denkt:

Liebe Carmen,

den Song „Ein bisschen mehr Herz“ habe ich im Sommer 2008 geschrieben. Man könnte das als Frühwerk bezeichnen. Zu dem Zeitpunkt war ich 21 Jahre alt, habe in der tiefsten ostfriesischen Provinz, in Ostrhauderfehn, gelebt und war genervt von Menschen in meinem Umfeld, einschließlich phasenweise mir selbst, die in Selbstmitleid versinken und nichts mit sich und der ihnen gegebenen wertvollen Zeit anzufangen wussten.

Gleichzeitig richtete sich der Song auch an Freunde von mir, die aufgrund von Erwartungsdruck ihrer Eltern ihre eigenen Wünsche und Talente missachteten und stattdessen eine Ausbildung oder ein Studium begannen, dass, so fand ich, nicht wirklich zu ihnen passte. Ich hatte drei Ziele mit diesem Song – ich wollte eine Hymne an die Leichtigkeit des Seins und, inspiriert vom Tomte-Song an „Die Schönheit der Chance“ schreiben, sowie einen Appell an die Gesellschaft richten, für einen größeren Zusammenhalt, mehr gegenseitige Unterstützung und mehr Empathie.

Im Nachhinein könnte man dem Lied und mir Naivität vorwerfen, aber ich vermute, das genau diese vermeintliche Schwäche gleichzeitig auch das ist, was dem Song eine Stärke und Eindringlichkeit verleiht und so vielleicht den ein oder anderen Menschen anrühren konnte. Danke für Deine schöne Geschichte dazu!

Viele Grüße aus Hamburg,

Enno Bunger

Hier der Link zu Enno Bungers Lied auf Youtube

…und hier findet Ihr den ganzen Liedtext von „Ein bisschen mehr Herz“

Konzerttermine, mehr zum neuen Album und vieles mehr findet Ihr hier:

www.ennobunger.de

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oder auf Instagram

6 Kommentare zu „7: Enno Bunger und „Ein bisschen mehr Herz“

  1. Und wieder hast du mich mitgenommen auf eine Reise durch die wilde Welt. Mit dir und einem etwas beklemmenden Gefühl bin ich in die überfüllte S-Bahn eingestiegen und wäre am liebsten bei der nächsten Haltestelle wieder raus. Aber dann hätte ich verpasst, wie du sprichwörtlich „ein bisschen mehr Herz“ in diese Situation gebracht hast. Da kann der liebe Enno Bunger mal mächtig stolz auf dich sein. Chapeau für deine Zivilcourage!

    1. Liebe Frau Punkte! Wie immer freue ich mich, von Dir zu lesen!! Haha – und glaube mir, erst heute wäre ich am liebsten gleich wieder raus. Aber: Erst heute wieder so ein menschlicher Lichtblick: Eine Frau begann einfach, laut über die Situation zu scherzen und zu lachen – und wie viele sie angesteckt hat! So schön 🙂 Und – Danke – ganz ehrlich gesagt, war es aber das kleine Mädchen, das ein großes, buntes Eis für diese Aktion verdient hätte!! 😀 Liebste Grüße, Carmen 🙂

  2. „Also, ich bin auch für TUT-TUT!“ Herrlich, wie du die miesepetrige Dame ausgeschaltet und die Situation so schön durchgelüftet hast. Was mit der richtigen Musik im Ohr alles möglich ist, zeigt deine starke kleine Geschichte… danke dafür, liebe Carmen!

  3. Wie ich sie spüre, diese Enge und die Kälte in diesen überfüllten Bahnen, die Feindlichkeit, obwohl man dicht gedrängt steht. Vielleicht auch ‚weil‘, denn die ungewollte Nähe kratzt am eigenen Panzer. Dann braucht man Schuldige für die eigene Unbequemlichkeit und wie meist, bekommen es die ab, die sich nicht wehren können. Toll, solche Verbrüderungen, wie du sie beschreibst. Und die Unschuld des Kindes spricht für sich. Manchmal wäre es schön, wenn man mit einem Zauberstab allen ein Lächeln andrehen könnte. Danke für deine spannende Bahnfahrt. 🙂

    1. Och – liebe Comediante23 – was für ein schöner Kommentar – Danke Dir. Sehr poetisch – und spannend – „obwohl, vielleicht auch ‚weil‘ -, denn die ungewollte Nähe kratzt am eigenen Panzer“ – eine sehr schlüssige Analyse,…. regt mich gleich wieder zum Nachdenken an,… und den Zauberstab,… tja,… den hätte ich auch sehr gerne 😀 Lieber Gruß von Herzen, Carmen 🙂

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