2: Tim Neuhaus und „It won’t last long“

Was Carmen denkt:

Ich fahre mit dem Zug nach Hause, frühmorgens um 06:00, kurz bevor ich wieder los muss, um pünktlich auf die Uni zu kommen. Eigentlich, naja nur eigentlich, mache ich nie die Nacht durch. Mein zu groß geratener Mantel und die enge Jeans stinken nach Rauch, in der einen Hand halte ich mein Handy, die Andere fährt durch meine Locken, die schon fast keine mehr sind, so oft bist Du durch meine Haare gefahren. Ich suche und finde Dich auf Facebook und grinse über Dein buntes Profilbild, aber ich klicke nicht auf „Freundschaftsanfrage versenden“, denn das wäre gegen unsere Abmachung. Zu perfekt war unser 6-stündiges Gespräch, zu schön dieser eine, endlos andauernde Kuss. Ja, ich weiß, wie kitschig das klingt, doch genau so war das damals mit uns.

Wir schreiben uns nicht. Lange nicht, weil alles gegen uns zu sprechen scheint. Wir sind glücklich mit diesem einen, wunderbar langen, Moment, der uns für immer bleiben soll. Und dann schreiben wir uns doch. Alles flammt auf und verbrennt. Immer wieder zünde ich unser Feuer erneut an, immer wieder löscht Du es. Bis Du mich dann eine ganze Weile lang’ ignorierst, weil Du hoffst, dass Du mir so dabei helfen kannst, von Dir loszukommen. Weil Du mich magst. Es tut weh. Wahnsinnig weh. Ich will nicht, dass Du so denkst.

Und dann landet auf einmal Tim Neuhaus mit „It won’t last long“ in meinen Ohren. Ich falle. In ein weiches, warmes Bett voller Wörter und Töne. „Wir sind das, was wir sind, nicht mehr und nicht weniger“(im Original: „We are all we are. No more no less it is“) singt eine Stimme, der ich glaube, und öffnet auf wundersame Weise eine versperrte Gedankentür. „Was, wenn es ausreicht, Dich und unsere Momente in meinem Herzen zu behalten?“ – denke ich auf einmal, und: „Was, wenn wir sehrwohl für einander bestimmt sind, nur nicht dafür, um eine romantische Beziehung miteinander zu führen?“ „Was wenn es mehr in der Welt gibt, als vorgefertigte Kategorien der Zwischenmenschlichkeit?“

Und dann fühlt es sich plötzlich schön an, einfach nur zu wissen, dass Du da draußen irgendwo in der Welt bist. Nicht mehr und nicht weniger. So komisch das für manche von Euch vielleicht klingen mag, doch dieser Moment der Erkenntnis war eine unfassbare Erleichterung für mich. Ein Aufatmen. Und genau das ist es übrigens, was ich an Tim Neuhaus’ Texten so liebe. Ich habe immer das Gefühl, dass er es schafft, mein, oft belastend gefestigtes, Verständnis der Welt etwas weiter aus der Reserve zu locken und mir neue Perspektiven zu zeigen, indem er mir die Scheuklappen von den Augen singt. Dieses Lied geht mir bis heute „deeper than my soul could know“. Danke dafür, Tim.

Was Tim denkt: (aus der Verschriftlichung unseres Interviews entnommen)

Danke für Deinen schönen Text, liebe Carmen. Deine Geschichte macht das Lied für mich wieder viel größer. Also ich weiß noch, dass ich diesen Text über meine damalige Beziehung geschriebe habe, in der meine Freundin sehr sorgenbehaftet war. Ich hatte in dieser Zeit noch die totale Beziehungsenergie und war sozusagen der Optimist in der Beziehung. Heute sehe ich vieles anders, aber in die ersten Beziehungen geht man ja oft auch viel eher mit so einem Frohsinn, einer gewissen Leichtigkeit. Man fühlt sich, als hätte man die Kraft für zwei Menschen, ist am Berge versetzen. Mit dem Älterwerden merkt man dann vielleicht, dass man Menschen, die grundsätzlich sorgenbehaftet sind, auch selbst dafür verantwortlich sind, sich da heraus zu ziehen. Sicherlich kann man positiv auf jemanden einwirken, aber man merkt irgendwann, dass man niemanden vollkommen alleine aus der Schlinge ziehen kann. Ich weiß noch, dass „It won’t last long“meiner damaligen Energie entsprungen ist, ihr dieses schöne Geständnis machen zu wollen.  

Mit den Jahren wurde mir dieser Text ja ehrlich gesagt ein Stück zu naiv – Also der ältere Typ in mir hat irgendwann begonnen auf dieses Lied erst einmal mit „Mein Gott, was für ein naives Lied hast Du denn da geschrieben?!“ zu reagieren. Also ich mein’, ich hab’ ja durchaus auch schon Sätze wie „ Oh, Alter – Der Text ist aber auch zu krass!“über meine Lieder gehört (lacht).Aber dann wurde mir bewusst, dass da wirklich wirklich all’ diese liebevollen Dinge drinnen stecken, die man dem Menschen sagen will, den man über alles lieb hat, für den man Berge versetzen würde. Für so jemanden macht man sich eben manchmal zum Affen, so wie ich das in diesem Text teilweise mit Aussagen wie „I dance this song for you“ tue. 

Ich muss sagen, dass ich bei den letzten beiden Alben viel mehr darauf geachtet habe, Aussagen im Englischen auch so zu schreiben, wie ich sie im Deutschen meine. Dabei hat mir Ian Fisherviel geholfen. Früher gab’ es da schon auch Unsicherheitssätze, bei denen ich mir bewusst war, dass ich die jetzt aber auch nur der Melodieführung wegen so meine(lacht). Das ist vielleicht charmant aber einfach nicht ganz richtig. 

Aber zurück zu „I won’t last long“:Im Grunde genommen steht in diesem Text die ganze Zeit eine tänzelnde Person vor einer etwas eingeknickten Person und versucht dieser zu suggerieren, dass alles gut wird, dass alles gut ist, dass das, was die beiden haben, schön ist. „It wont last long“, das ist ja eigentlich eine grausame Wahrheit, aber inkludiert in dieses Liebesgeständnis hat sie gibt es da eine gewisse Wahrhaftikeit und Schönheit für mich. Damit ist das Ganze ja vielleicht doch gar nicht so naiv, wie ich dachte (lacht).

In den letzten Jahren habe ich diesen Song ja gar nicht mehr so gerne gespielt, weil ich eine Beziehung dieser Form einfach nicht mehr hatte. Deshalb ist „It won’t last long“so ein bisschen der verlorene Liebessong geworden. Aber jetzt, nachdem ich gelesen habe, was Du für Dich darin siehst oder gesehen hast, da wird mir klar, dass dieser Text ja doch sehr empfänglich ist, dass vielleicht auch andere Leute, die gerade durch ähnliche Phasen wie ich damals gehen, für diese naiv-schönen, puren Gedanken, für diese pure Liebesfähigkeit, empfänglich sind. Das macht ihn wieder stärker für mich. Ich weiß zwar gerade nicht, was genau mir das persönlich sagen will, aber ich weiß, dass ich froh darüber bin, dass sich meine damaligen Überzeugungen in einem Song manifestiert haben. Hey, ich mein’ – Das Leben ist kurz, wir sind wie wir sind, und es dauert eh’ nicht lang, also lass’ uns doch jetzt und hier die Schönheit von allem wahrnehmen! 

Hier der Spotifylink zu „It won’t last long“

Hier gibt’s mehr über Tim Neuhaus (2 neue Alben, Konzerttermine,…) www.tim-neuhaus.de

Tim Neuhaus‘ Facebook-Fanpage

Nachdem es den Text zum Lied bisher nicht im Internet gibt, darf ich den Text hier einfügen 🙂

It won’t last long – Tim Neuhaus

Be strong you should believe,
I love you like a child, 
I dance this song for you. 
Even if you think I’m gone – 
I try to make things work, 
yes I do this all for us. 
Let there be just one indescribable kiss – 
with a special sound – 
everything is bliss. 
We are all we are – 
No more, no less it is. 
For not so long – No, it won’t last long. 
Brighter than my widest smile, 
lovely like none before, 
stronger than these arms could hold, 
deeper than my soul could know, 
the innocence comes back in this song, 
when I play my drum, 
it’s your soul that I feel. 
Let there be just one indescribable kiss –
with a special sound – 
the universe at peace. 
We are all we are – 
No more, no less it is. 
For not so long – No, it won’t last long.

6 Kommentare zu „2: Tim Neuhaus und „It won’t last long“

  1. Oh ist das ein wunderschöner Text 🙂 werde mir das Lied gleich im Auto auf dem Weg zur Arbeit zu Gemüte führen. Ich verstehe absolut was du meinst, neue Perspektiven, das Leben, andere und sich selbst durch den richtigen Song im richtigen Augenblick einordnen, ertragen und akzeptieren können. Gefühle wandeln von Verzweiflung bis hin zur Annahme oder sogar einer Vogelperspektive. Wirklich sehr sehr ergreifend dargestellt 🙂 habe einen Text zu ‚was Musik mit mir macht‘ geschrieben, würde mich interessieren, was du von ihm hältst und ob er als Anregung zu deinem Blog dienen könnte. Ü3 Methoden. LG solli

  2. Ein sehr gelungener Text, sowohl deiner, als auch der von Tim! Ich kann Tim verstehen, wenn er dem Song heute leicht skeptisch gegenübersteht – ich kenne seine damalige Position sehr gut – man selbst schwebt auf Wolke 7 und hat scheinbar überdimensionale Kräfte, da ist es doch ein Leichtes, von seiner überschäumenden Energie abzugeben – mit der Zeit merkt man dann, dass sich diese doch nicht so ohne Weiteres übertragen lässt – die / der andere ist und empfindet eben doch anders – Glück kann man nicht verordnen, das ist eine Lebenseinstellung + ändern kann man ja bekanntlich nur sich selbst – insofern: Unternehmen Sorgen- / Problemabnehmen aussichtslos. Aber auch deine Perspektive auf den Song kann ich 1:1 nachvollziehen + dein daraus gewonnener Perspektivwechsel ist doch ein wunderbares Geschenk, zumal er deine Welt ja auch nachhaltig verändert(e).

    1. Liebe Spiegelfassaden, vielen Dank für Deinen Kommentar! Er wandert freundlich durch meine Gedanken und stößt wieder ein kleines, buntes, Gedankenkarussel an. Danke dafür ! Liebe Grüße, Carmen

  3. Liebe kennt keine Zeit, keine Norm oder Moral. Auf Musik lässt sie sich aber gerne ein. Du spürst das wieder wunderbar auf. Interessant, dass du auch in den Austausch mit dem Künstler getreten bist.

Schreibe einen Kommentar zu carmeneder Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert